BürgerInitiative Hochwasser- und Naturschutz

Altrip e.v.

Europäischer Gerichtshof stärkt die Klagerechte von Gegnern dieses Hochwasserschutz-Projektes

Die Chancen, dass der Hochwasserschutz für die Städte Ludwigshafen und Mannheim in absehbarer Zeit verbessert wird, sind geschwunden: Laut einem gestern verkündeten Urteil teilt der Europäische Gerichtshof in Luxemburg verfahrensrechtliche Bedenken der Gegner des bei Altrip geplanten Polders. Damit liegt der Ball wieder beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig.

Der Polder „Waldsee/Altrip/Neuhofen" ist Teil eines Schutzkonzeptes, das Frankreich, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg 1982 vereinbart haben. Darin verpflichten sich die drei Partner, jeweils ein bestimmtes Rückhalte-Volumen am Rhein zu schaffen. Dies soll unter anderem durch den Bau von Poldern geschehen, die dem Fluss bei einer bedrohlichen Flut Wassermassen entziehen. Frankreich hat seine Verpflichtungen vollständig, Rheinland-Pfalz zu 83 und Baden-Württemberg zu 40 Prozent erfüllt. Anfang Juni konnten mit dem grenzüberschreitenden Einsatz der vorhandenen Rückhaltemöglichkeiten die Auswirkungen des Rhein-Hochwassers eingedämmt werden.

Auf rheinland-pfälzischer Seite harren zwei Polder-Projekte noch ihrer Verwirklichung: Petersau-Bannen und Waldsee/Altrip/Neuhofen. Außerdem sind über die vertraglich eingegangenen Verpflichtungen hinaus bei Eich in Rheinhessen und bei Hördt in der Südpfalz zwei gigantische „Reserveräume für Extremhochwasser" vorgesehen. Mit ihnen soll den Auswirkungen des Klimawandels Rechnung getragen werden.

Bei dem bei Altrip geplanten Bauwerk handelt es sich um den Polder mit dem zweitgrößten Fassungsvermögen im Land. Aufgrund seiner Lage nahe der Mündung des Neckars in den Rhein messen Experten dem Vorhaben eine zentrale Bedeutung bei. In Altrip gab es jedoch früh Widerstand gegen das Projekt, das sich über zwölf Prozent des Gemeindegebietes erstrecken würde. Befürchtet werden unter anderem Nachteile durch steigendes Grundwasser, außerdem wären landwirtschaftliche Flächen und FFH-Schutzgebiete betroffen.

Nach vierjähriger Vorarbeit hat die Genehmigungsbehörde SGD Süd in Neustadt im Jahre 2006 den Planfeststellungsbeschluss für den Polder erlassen. Seitdem klagen die Gemeinde Altrip, ein landwirtschaftlicher Betrieb und ein Hausbesitzer gegen das Projekt. Und zwar vor dem Verwaltungsgericht Neustadt und vor dem Oberverwaltungsgericht (OVG) in Koblenz ohne Erfolg. In ihrer Revision zum Bundesverwaltungsgericht kritisieren die Polder-Gegner, die Bundesrepublik habe eine Richtlinie der Europäischen Union (EU) mit strengen Umweltvorschriften nicht umfassend in deutsches Recht umgesetzt.

Die Argumente der Gegner brachten die Leipziger Richter ins Grübeln. Anfang 2012 verkündeten sie, vor einer Entscheidung über den Revisionsantrag erst mal den Kollegen beim Luxemburger Gerichtshof einen Fragenkatalog zu übermitteln. Frage eins lautet: Hätte der deutsche Gesetzgeber festlegen müssen, dass die EU-Richtlinie auch auf solche Genehmigungsverfahren anzuwenden ist, die zwar – wie das Polderprojekt– vor dem Stichtag 25. Juni 2005 eingeleitet, aber noch nicht abgeschlossen wurden? Falls nein, wäre die Revision der Polder-Gegner erledigt gewesen.

Falls ja, folgt Frage zwei: Hätte der Bund dann auch Klagen bei solchen Projekten zulassen müssen, bei denen die Auswirkungen auf die Umwelt zwar untersucht wurden, dabei aber womöglich Fehler unterliefen? Nach bisherigem deutschen Recht ist eine Anfechtung nur möglich, wenn gar keine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) erfolgte. Im Falle Altrips wurde zwar eine UVP vorgenommen, die war aber nach Auffassung der Polder-Gegner unvollständig.

Beide Fragen hat der Luxemburger Gerichtshof gestern mit einem „Ja" beantwortet. Das ist bedeutsam, weil es das Koblenzer OVG 2009 noch abgelehnt hatte, die Einwände der Polder-Gegner zur UVP zu berücksichtigen. Nach bisherigem deutschen Recht konnten zwar Umweltverbände, nicht aber Privatpersonen oder Gemeinden mögliche Fehler bei der UVP vor Gericht anprangern, erläutert Wolfgang Baumann, der Rechtsanwalt der Polder-Gegner. Denn, so auch die bisherige Argumentation des OVG, die Kläger seien im Zusammenhang mit der UVP nicht in ihren Rechten betroffen. Diese Einschränkung halten die Luxemburger Richter in ihrem gestrigen Urteil für europarechtswidrig. Und mit dieser Feststellung, so Baumann, würden „die Klagerechte von Gemeinden und Privatpersonen gegen umweltbeeinträchtigende Vorhaben erheblich gestärkt".

Die SGD Süd geht nun davon aus, dass das Bundesverwaltungsgericht den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung an das OVG zurückverweisen wird. Die Neustadter Behörde ist davon überzeugt, dass es dennoch gelingen werde, die Umweltverträglichkeit des Polderprojektes auch im Sinne der strengeren EU-Vorschriften nachzuweisen. Über diese Frage haben die Gerichte noch gar nicht entschieden. Außerdem werde der Bundesgesetzgeber die Vorschriften an die EU-Vorgaben anpassen müssen.

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